5-Minuten-Meditation, Atemübungen auf dem Arbeitsweg, morgens eine halbe Stunde früher aufstehen – Tipps zur Selbstfürsorge im Alltag finden sich überall. Doch wer seit Monaten zwischen Homeschooling und Homeoffice noch das ganze eigentliche Leben am Laufen halten muss, kann damit oft wenig anfangen. Noch mehr einplanen, optimieren, kümmern, organisieren – wie soll das gehen? Und bringt das überhaupt etwas?
Ist es nicht eine Farce, gerade in Pandemie-Zeiten von Me-Time und Selbstfürsorge zu schreiben? Gerade jetzt, wo viele Menschen, besonders Eltern, für nichts mehr Kraft haben und sich das Leben so anfühlt, als würde es nur noch aus anstrengendem und gleichzeitig ödem Alltag, Care-, Erwerbs- und Hausarbeit bestehen. Der eine kommt damit besser zurecht, der andere weniger. Sich als Eltern im kräftezehrenden Corona-Alltag ausgebrannt zu fühlen, ist normal, aber deshalb noch lange nicht richtig. Wenn dann noch suggeriert wird, dass wir mit ein paar Minuten Selbstfürsorge das ganze Lebensgefühl von dauererschöpft zu ausgeglichen umswitchen könnten, ist das vor allem eins: nicht richtig. Wer schon vorher kaum Zeit für alles fand, findet sie seit über einem Jahr höchstwahrscheinlich noch seltener. Wer schon vorher oft am Limit war, ist es jetzt erst recht. Doch vielleicht ist die Auseinandersetzung mit der Selbstfürsorge gerade deshalb wichtiger denn je. Jetzt, wo wir die Auswirkungen eines Mangels an Me-Time umso deutlicher spüren und anders auffangen müssen.
Eltern in Krisenzeiten: Warum Selbstfürsorge allein nicht reicht
Immer mehr zeigt sich, dass das Projekt Me-Time für viele Mütter und Väter nicht nur aus individuellen Gründen, sondern strukturell bedingt scheitert. In sehr vielen Fällen fehlt es einfach an Unterstützung von außen, die es für einen angenehmeren Familienalltag bräuchte. Der Opa, die Tante, die Nachbarn, Freunde – die heutigen Kleinfamilien haben es schwer, Netzwerke zu bilden und aufrechtzuerhalten. Doch wir brauchen andere Menschen, Solidarität, Flexibilität und Freiheit für individuelle Entscheidungen für die eigene Familie. Heutige Eltern haben einfach zu wenig Unterstützung, keine Lobby und bedienen bisweilen gesellschaftliche Klischees, die bereits zum trügerischen Selbstbild geworden sind: Wer Familienleben als anstrengend empfindet, ist selbst schuld. Wer Kinder hat, hat „es doch so gewollt“. Haben wir das? Wohl eher nicht. Was Familienalltag für einen selbst bedeutet, wie stressig oder öde wir ihn erleben, wie viel Kraft er uns kostet – vor allem in Zeiten von Corona – kann keiner wirklich vorhersehen.

Sich als Eltern im kräftezehrenden Corona-Alltag ausgebrannt zu fühlen, ist normal, aber deshalb noch lange nicht richtig.
Die Wahrheit ist: Jeder Mensch darf sich vom Leben bisweilen überfordert fühlen, egal wie leicht es für andere aussehen mag. Selbst wer vermeintlich alles hat, kann sich unglücklich und unerfüllt fühlen. Es ist immer eine Sache der Perspektive und der persönlichen Ressourcen. Was hilft: Den Fokus auf das Gute ausrichten und sich öfter bewusst machen, wofür wir dankbar sein können. Doch dankbar zu sein, muss nicht bedeuten, sich mit allem zufriedenzugeben. Wir sollten uns ebenso ehrlich bewusst machen, wo es hakt und was sich ändern sollte. In Krisenzeiten geht es manchmal nicht anders, als die eigenen Grenzen auszudehnen und Bedürfnisse zurückzustellen. Aber das heißt nicht, dass wir machtlos sind: Auch wenn wir nicht das ganze System ändern können, so können wir doch unser eigenes beeinflussen. Indem wir abwägen, ausprobieren und immer wieder neu entscheiden, was für die eigene Familie am besten funktioniert.