Was ist ein Hörsturz und was hat das mit Tinnitus zu tun?
Der akute Hörsturz ist eine – fast immer einseitig auftretende – plötzliche Hörminderung. Der Hörverlust kann unterschiedlich stark sein und sogar bis zur „Ertaubung“ reichen. Viele Patienten berichten, dass das betroffene Ohr „zu“ sei, häufig empfinden sie ein Druckgefühl. Manche beschreiben dies wie eine „Käseglocke“ über dem Ohr.
Den Hörsturz begleitet oft ein Ohrgeräusch (Tinnitus aurium), das verschiedene Ausprägungen annehmen kann. Die Patienten berichten von einem Piepsen, Brummen oder Surren und so weiter. Diese Geräusche können von anderen Menschen nicht wahrgenommen werden. Nur der Betroffene selbst hört sie.
Manchmal ist der akute Hörsturz auch von Schwindelsymptomen begleitet. Ein Ohrgeräusch, also ein Tinnitus, kann auch ohne begleitenden Hörverlust auftreten. Da die Krankheitsbilder vielgestaltig verlaufen können, konzentriere ich mich in diesem Beitrag auf die akuten Fälle.
Wie häufig ist ein Hörsturz?
In Deutschland erleiden zwischen 20 000 und 30 000 Menschen pro Jahr einen Hörsturz. Die meisten Patienten sind um die 50 Jahre alt. Männer und Frauen sind ungefähr gleich häufig betroffen. Im Kindesalter ist ein Hörsturz sehr selten. Ähnliche Zahlen gelten für den akuten Tinnitus.
Ist ein Hörsturz ein Notfall?
Die betroffenen Patienten erleben einen Hörsturz oder einen plötzlich auftretenden Tinnitus fast immer als bedrohlich. Aber keine Sorge! Im Gegensatz zur landläufigen Meinung, ist ein Hörsturz kein Notfall und erfordert auch keine stationäre Behandlung. Oft klingen die Symptome innerhalb weniger Stunden von allein wieder ab. Sollte dies nicht der Fall sein, empfehle ich, am nächsten oder übernächsten Tag einen Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde aufzusuchen.
Was sind die Ursachen von Hörsturz und Tinnitus?
Trotz weit fortgeschrittener Wissenschaft und Medizin sind die Ursachen von Hörsturz und Tinnitus weitgehend ungeklärt. Aktuelle Lehrmeinungen gehen von entzündlichen Vorgängen in den Sinneszellen des Innenohres (Haarzellen) aus. Die frühere Lehrmeinung von Durchblutungsstörungen („Infarkt des Ohres“) konnte bis heute nicht bewiesen werden.
Welche Untersuchungen werden üblicherweise durchgeführt?
Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Patienten (Anamnese) erhebt der HNO-Arzt einen Untersuchungsstatus des Ohres. Hierbei geht es darum, Diagnosen, wie beispielsweise Ohrentzündungen, auszuschließen. Üblicherweise folgt ein Hörtest zur weiteren Differenzierung. Begleituntersuchungen wie die Messung des Ohrdruckes (Tympanometrie) oder der otoakustischen Emissionen (OAE) können hilfreich sein. Auch eine verschlossene Ohrtrompete (Eustachische Röhre), was nach Atemwegsinfektionen häufig auftritt, muss ausgeschlossen werden.
Nach einem ausführlichen Anamnesegespräch mit dem Patienten erhebt der HNO-Arzt einen Untersuchungsstatus des Ohres.
Welche Therapien werden nach aktueller Lehrmeinung empfohlen?
Die hohe subjektive Betroffenheit der Patienten rechtfertigt in den meisten Fällen einen Therapieversuch. Ist der Patient mutig und das Krankheitsbild eher leichterer Form, kann man in den ersten Tagen eine spontane Heilung abwarten. Eine vollständige oder teilweise spontane Erholung der Hörfunktion ist häufig. Das ist aber in jedem Einzelfall mit dem Betroffenen abzustimmen. Ich bespreche die Befunde mit dem Patienten und entscheide mit diesem gemeinsam das weitere Vorgehen in jedem Einzelfall.
Die einzige positive Studienlage zur Therapie des Hörsturzes und des Tinnitus aurium zeigt sich aktuell zu Kortison. Das heißt, derzeit empfehlen die medizinischen Leitlinien eine alleinige Therapie mit Kortison. Üblicherweise wird mit hochdosiertem Kortison über drei Tage behandelt. Hat sich hiernach noch keine vollständige Besserung der Hörfunktion ergeben, kann das Präparat einige weitere Tage ausschleichend verabreicht werden.
Eine neuere Therapiealternative stellt die sogenannte intratympanale Kortisoninjektion dar. Das heißt, man appliziert durch den Gehörgang ein Kortisondepot durch das Trommelfell ins Mittelohr. Der Wirkeffekt entsteht dadurch, dass das Kortison von dort ins Innenohr aufgenommen wird. Während die systemische Kortisontherapie (das heißt, Kortison wird in Form von Tabletten oder Spritzen verabreicht) in den ersten Tagen nach Auftreten der Symptome beginnen sollte, ist die lokale intratympanale Kortisontherapie auch nach Wochen noch erfolgversprechend und auch aus diesem Grunde eine gute Therapiealternative. Da diese eine rein lokale Therapie ist, kann sie auch bei vorliegenden weiteren Erkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus gefahrlos angewendet werden.
Andere alternative Therapieformen zur Behandlung des akuten Hörsturzes und/oder Tinnitus wie Sauerstoff- oder Ozontherapie oder auch durchblutungsfördernde Infusionen sind bisher den Beweis der Wirksamkeit schuldig geblieben und werden von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften deshalb nicht empfohlen.
Bei einem Hörsturz, kann ein Hörgerät den erlittenen Hörverlust ausgleichen.
Was kann man bei der chronifizierten Verlaufsform unternehmen?
Wenn die Symptome mehr als drei Monate anhalten, spricht man von einem chronischen Verlauf. Betrifft dies einen Hörsturz, kann ein Hörgerät den erlittenen Hörverlust ausgleichen. Handelt es sich sogar um eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit oder eine komplette Taubheit (Surditas), so ist die Implantation eines sogenannten Cochlear Implants (CI) zur Hörverbesserung möglich.
Bei chronischem Tinnitus aurium unterscheiden wir ärztlicherseits eine „kompensierte“ von einer „dekompensierten“ Verlaufsform. Der kompensierte Tinnitus bereitet dem Patienten keine Beschwerden, weil er sich sozusagen an das Ohrgeräusch gewöhnt hat und in seinem Alltag einigermaßen damit zurechtkommt.
Der dekompensierte Tinnitus ist dadurch definiert, dass der Patient sich dauerhaft von dem Geräusch gestört oder sogar gequält fühlt. Häufig sind Begleiterkrankungen wie Angststörungen oder gar Depressionen zu beobachten. Aus diesem Grunde ist diesen Patientengruppen eine neurologisch-psychiatrische Begleittherapie anzuraten.
Im Vordergrund steht dabei die Aufklärung des Patienten, dass bei einem Tinnitus nicht mit gravierenden gesundheitlichen Schäden zu rechnen ist. Ziel ist es, dass der Patient Ängste abbaut und Bewältigungsstrategien lernt. Auch Selbsthilfegruppen können in solchen Lebenslagen sehr hilfreich sein.
Tinnitus ist dadurch definiert, dass der Patient sich dauerhaft von dem Geräusch gestört oder sogar gequält fühlt. Begleiterkrankungen können Angststörungen oder gar Depressionen sein, wehsalb sich häufig eine neurologisch-psychiatrische Begleittherapie empfiehlt.
Bei einem begleitenden Hörverlust wird durch den Einsatz eines Hörgeräts auch das Ohrgeräusch anschließend als weniger dominant empfunden. Ähnliches kann auch ohne Hörverlust durch einen „Noiser“ erzielt werden. Noiser sind Geräte, die ein Gegengeräusch erzeugen und auf diese Weise den Tinnitus überlagern sollen.
Einigen Patienten, die im Bereich der Halswirbelsäule oder des Kiefergelenks (zum Beispiel durch nächtliches Knirschen) verspannt sind, hilft eine begleitende physiotherapeutische Behandlung. Allgemeine Empfehlungen hierfür gibt es aber nicht.
Eine medikamentöse Therapie kann derzeit nicht empfohlen werden. Kein Präparat konnte bislang einen therapeutischen Nutzen zur Behandlung eines chronischen Tinnitus erbringen. Auch vitaminhaltige Nahrungsergänzungsmittel sind wenig sinnvoll.
Bei der sogenannten tinnituszentrierten Musiktherapie, bei der die angewandte Musik in Bezug auf die Tinnitusfrequenz verändert wird, sind derzeit Studien in Aussicht. Einige, nicht alle, Patienten scheinen von dieser Therapieform zu profitieren.
DR. MATTHIAS O. HEINZE (46) ist leidenschaftlicher Hals-Nasen-Ohrenarzt und seit zwölf Jahren in Dillingen/Saar niedergelassen. Ebenso bezeichnet er sich als leidenschaftlichen Familienvater.
Dieser Beitrag ist im Rahmen der Gesundheitskooperation zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland und Globus entstanden. Zu jedem 15. des Monats finden Sie in unserem mio-Online-Magazin einen aktuellen Beitrag rund ums Thema Gesundheit.
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