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Gewohnheit oder Zwangsstörung?

Wenn Zwänge das Leben bestimmen

Alles fest im Griff?

Gewohnheit oder Zwangsstörung? Psychotherapeutin Susanne Münnich-Hessel erklärt, wie sich psychische Zwangsstörungen äußern und wie sie behandelt werden können.

Kennen Sie die Krimiserie „Monk“ mit dem Hauptdarsteller Tony Shalhoub? Ein pedantischer, ängstlicher Fernsehdetektiv – alles andere als der typische Krimiheld, der alles im Griff hat. In der sehr erfolgreichen Serie, von der zwischen 2002 und 2009 acht Staffeln produziert wurden, wurde mit dem Hauptdarsteller einfühlsam und mit Humor auf das psychische Leid der Zwangsstörung aufmerksam gemacht. Monk muss bestimmte Rituale, z. B. das symmetrische Anordnen von Gegenständen oder das Trinken von nur einer bestimmten Sorte Sodawasser, streng einhalten und wiederholt durchführen. Dabei weiß Monk, dass nicht etwa eine reale Gefahr entsteht, wenn er z. B. ein anderes Wasser trinkt, aber er kommt nicht gegen diesen Zwang an und zahlt immer wieder einen hohen Preis an Zeit und Lebensqualität, um seine Zwangsrituale einzuhalten.

Ist das bei mir nur eine Gewohnheit? Oder habe ich eine Zwangsstörung?

(1) Waschen und putzen Sie sehr viel?
(2) Kontrollieren Sie sehr viel?
(3) Haben Sie quälende Gedanken, die Sie loswerden möchten, aber nicht können?
(4) Brauchen Sie für Alltagstätigkeiten sehr lange?
(5) Machen Sie sich Gedanken um Ordnung und Symmetrie?

Wenn Sie mindestens eine der obigen Fragen mit „Ja“ beantwortet haben und zudem eine deutliche Beeinträchtigung dadurch im Alltag erleben, könnte bei Ihnen eine Zwangsstörung gegeben sein.

Fast jeder kennt harmlose Rituale wie das Überprüfen, ob der Herd wirklich ausgeschaltet ist, oder das Vergewissern, dass man die Tür tatsächlich abgeschlossen hat. Die Grenze zwischen Zwang und normaler Handlung verläuft fließend. Der wesentliche Unterschied zwischen gesunden und kranken Menschen besteht darin, dass Personen mit einer Zwangsstörung nicht mehr anders handeln können. „Ich kann nicht anders“ ist der typische Satz in der Zwangskrankheit. Man spricht also von einer Zwangserkrankung oder Zwangsstörung erst dann, wenn derartige Verhaltensweisen sich andauernd wiederholen und ein solches Ausmaß annehmen, dass der Betroffene leidet und oder im Alltag erheblich beeinträchtigt ist.

Wie genau äußern sich Zwangsstörungen?

Die Zwangsstörung ist die vierthäufigste psychische Erkrankung – nach Depressionen, Angsterkrankungen und Suchterkrankungen. Erste Symptome treten oft schon in der Kindheit oder Jugend auf. Ca. zwei bis drei Prozent der Bevölkerung sind im Laufe ihres Lebens davon betroffen. Zwangsstörungen äußern sich in Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Zwangsgedanken sind Vorstellungen und Gedanken, die die Betroffenen als unsinnig oder übertrieben erkennen, sich aber dennoch immer wieder aufdrängen. So kann zum Beispiel der Zwangsgedanke auftreten, man könnte jemanden überfahren haben, was dann dazu führen kann, Fahrstrecken zur Kontrolle mehrmals abzufahren und zusätzlich Unfallberichte zu lesen. Zwangshandlungen sind sich wiederholende Verhaltensweisen, die oft immer gleich ablaufen müssen und zu denen sich Betroffene gedrängt fühlen, obwohl sie als übertrieben oder sinnlos erkannt werden. Zwangshandlungen haben oft das Ziel, Ängste, Unbehagen oder Ekel zu verringern, welche durch die Zwangsgedanken ausgelöst worden sind. Das kann zum Beispiel sehr häufiges Händewaschen sein, was sich bei schwer Erkrankten über Stunden hinziehen kann, um das Ekelgefühl vor „Dreck“ zu regulieren. Betroffene schämen sich nicht selten für ihre Zwänge, da ihnen die Sinnlosigkeit durchaus bewusst ist. Es besteht häufig eine Verheimlichungstendenz, weshalb auch die Bezeichnung „die heimliche Krankheit“ gebräuchlich ist.

Wie entsteht eine Zwangserkrankung?

Für das Entstehen einer Zwangserkrankung spielen nach heutigen Erkenntnissen fast immer mehrere Faktoren eine Rolle, psychologische, soziale und biologische. Dabei ist es individuell unterschiedlich, welche der Einzelfaktoren in welchem Ausmaß relevant ist. Wissenschaftler gehen davon aus, dass eine Anfälligkeit („Vulnerabilität“) erblich weitergegeben wird, in Stresssituationen mit Zwangssymptomen zu reagieren. In der frühen Kindheit können problematische Formen der Erziehung durch die Eltern Zwangsstörungen begünstigen. Beispiele dafür sind häufig extreme Sauberkeitserziehung, hoher Leistungsanspruch oder aber starke Überbehütung. Zusätzliche belastende Ereignisse aus der Umwelt des Kindes können es dann überfordern und den Wunsch nach Kontrolle erzeugen. Neurologische Veränderungen können bedingt durch neurologische Erkrankungen (z. B. Epilepsie, Kopfverletzungen, Gehirntumore) ebenfalls Zwangssymptome auslösen, weshalb immer auch eine ärztliche Untersuchung wichtig ist.

Eine frühzeitige Therapie ist wichtig, um die zahlreichen Folgen einer Zwangsstörung zu verhindern.

Was kann mir helfen, wenn ich Zwänge habe?

In vielen Fällen kann Ihnen eine Psychotherapie helfen, vor allem die kognitive Verhaltenstherapie. Eine frühzeitige Therapie ist wichtig, um die zahlreichen Folgen der Erkrankung zu verhindern. Auch wenn bei Ihnen die Krankheit schon jahrelang besteht, kann die richtige Therapie erfolgreich sein. Sogar schwer Betroffene, die eine kognitive Verhaltenstherapie in Anspruch nehmen, können ihre Symptome dauerhaft um 50–70 % reduzieren. Die Therapieform wird in von darin ausgebildeten Psychotherapeutinnen und -therapeuten angeboten und kombiniert Teile von kognitiver Therapie und Verhaltenstherapie.

Die Verhaltenstherapie setzt direkt bei den Zwangshandlungen an. Hierbei wird man nach und nach mit den Auslösern seines zwanghaften Verhaltens konfrontiert (Reizkonfrontation). Wenn eine Person zum Beispiel einen Waschzwang hat, kann sie von ihrer Therapeutin oder ihrem Therapeuten gebeten werden, etwas anzufassen, was sie als schmutzig empfindet. Anschließend versucht sie, sich nicht wie sonst sofort die Hände zu waschen (Reaktionsverhinderung). Durch die Konfrontation lernt sie mit der Zeit, dass Angst und Unruhe auch ohne die Zwangshandlung wieder verschwinden. Dabei ist die therapeutische Begleitung sehr wichtig, vor allem zu Beginn der Behandlung oder wenn der Schwierigkeitsgrad der Übungen zunimmt. Bei der Therapie geht es auch darum, die eigenen Denkmuster zu erkennen und zu hinterfragen. Das Ziel ist, Gedanken aufzuspüren, die dem zwanghaften Handeln zugrunde liegen, und diese anschließend zu verändern. Als Ergänzung zur Psychotherapie können Selbsthilfegruppen einen nützlichen Beitrag leisten, um Zwänge zu bewältigen (Adresse s. unten).

Wie komme ich an eine kognitive Verhaltenstherapie?

Eine kognitive Verhaltenstherapie ist als Gruppen- oder Einzeltherapie möglich. In der Regel umfasst sie eine Reihe von wöchentlichen Sitzungen von 50 Minuten. Manchen Menschen geht es bereits nach einigen Sitzungen deutlich besser, bei anderen ist eine längere Behandlung erforderlich. Auch können unterstützende Medikamente notwendig sein. Ein vertrauensvolles Verhältnis zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Behandlung. Ob man sich bei ihr oder ihm gut aufgehoben fühlt, lässt sich in dafür vorgesehenen Probesitzungen herausfinden. Hinweise auf entsprechende Therapeuten können Sie von Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt bekommen. Oder Sie recherchieren selbst: www.psych-info.de

Ich bin Angehörige/r eines/r Zwangserkrankten – was kann ich tun?

Es kann sehr helfen, wenn die Familie an der Behandlung beteiligt ist. Angehörige können zum Beispiel dabei unterstützen, mit den Zwängen auch zu Hause zurechtzukommen. Besonders nach Abschluss der Behandlung kann dies wichtig sein, um ihren Erfolg zu erhalten. Angehörige von Patienten/innen mit Zwangserkrankung sind meistens stark belastet. Oft sind sie beispielsweise in die Zwänge integriert, etwa indem die Erkrankten ihre Verantwortung für eventuell mögliche Katastrophen abgeben. D. h. Sie als Angehörige müssen dann überprüfen, ob die Tür wirklich zu ist oder Sie dürfen im Haushalt bestimmte Gegenstände nicht berühren. Grundsätzlich sollten Sie als Angehörige sich klar machen, dass die Erkrankten Zwänge nicht aus eigener Kraft überwinden können. Ausdrücke wie „stell dich nicht so an“, bringen gar nichts, sondern lösen bei Betroffenen nur zusätzliche negative Gefühle aus. Sie sollten stattdessen versuchen klarzumachen, dass professionelle Hilfe nötig ist. Auf keinen Fall sollten Sie als Angehörige ihren Alltag von den Zwängen bestimmen lassen oder das eigene Leben aufgeben.

Und nun die gute Nachricht:
Zwangserkrankungen gehören bei richtiger Behandlung zu den psychischen Erkrankungen mit den besten Heilungsaussichten. Deshalb: Holen Sie sich Hilfe!

„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“
(Aristoteles)

Weitere Informationen, Ratgeber und Tipps und Kontakte zu Selbsthilfe finden Sie auf der Seite der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V.: www.zwaenge.de

Ihre Susanne Münnich-Hessel

SUSANNE MÜNNICH-HESSEL ist niedergelassene Psychotherapeutin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Kleinblittersdorf mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Mehr Infos unter www.verhaltenstherapie-saar.de

Dieser Beitrag ist im Rahmen der Gesundheitskooperation zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland und Globus entstanden. Zu jedem 15. des Monats finden Sie in unserem ­mio-Online-Magazin einen aktuellen Beitrag rund ums Thema Gesundheit.

Weitere Gesundheitsinformationen finden Sie direkt bei der Kassenärztlichen Vereinigung:

Hier geht‘s zum Angebot der KV Saarland.