Wie spät ist es eigentlich? Ich hole mein Handy raus. Oh, Tina hat dich auf einem Foto verlinkt! Travelmate_83 hat ein Live-Video gestartet. Und da ist endlich die Mail mit dem Rabattcode, zwischen zwei Newslettern. Nur mal schnell markieren, Daumen hoch, Herzchenaugen-Emoji. Handy wieder weg. Wie spät ist es eigentlich?
Wenn Ihnen das bekannt vorkommt: Welcome to my life! Wie sehr das Smartphone von „nice to have“ zum Must-have in meinem Alltag geworden ist (und vielleicht auch in Ihrem), habe ich in letzter Zeit öfter mehr oder weniger erschrocken zur Kenntnis genommen. Doch der Prozess ist schleichend. Irgendwann wird es zum Automatismus, in jeder noch so kleinen Wartezeit zum Handy zu greifen. Es mit ins Bad, ins Büro, in den Wald, ins Restaurant zu nehmen. Es in die Hand zu nehmen, obwohl es nicht einmal blinkt. Mit der festgelegten Wischbewegung den Bildschirm entsperren, der Daumen patscht zielgerichtet auf die meist benutzen Apps, wischt hoch und runter, verschenkt Herzchen und Daumen. Die Bewegungen gehen in Fleisch und Blut über.Ich bin sicher, dass es noch um einiges schlimmer geht. Zum Beispiel, wenn mein Sohn etwas von mir will und ich „nur noch schnell das hier fertig schreiben“ muss. Was macht es eigentlich mit Menschen, die Blickkontakt suchen, doch stattdessen nur fünf Zoll große Vierecke sehen? Die Vorstellung ist so bitter wie real – man braucht sich ja nur auf der Straße umzuschauen oder Insta-Storys zu verfolgen. Ohne Smartphone, ohne mich – das scheint das unausgesprochene Motto von vielen geworden zu sein. Doch unsere Aufgabe als Eltern, als Gesellschaft ist klar: Wir müssen Verantwortung für uns und andere übernehmen. Denn im gleichen Maße, wie wir uns über regulierte Medienzeiten für Kinder Gedanken machen, sollten wir unsere eigenen Gewohnheiten hinterfragen.

Die Netflix-Dokumentation „The Social Dilemma“ beleuchtet die Schattenseiten von Facebook und Co.
Übertriebene Sorge oder echte Suchtgefahr?
„When do you check your phone in the morning? Before you pee or while you’re peeing? Because there is only these two options”, fragt Roger McNamee, einer der ersten Facebook-Investoren, in „The Social Dilemma“ wissend in die Kamera. Ich lache nervös, fühle mich ertappt – aber immerhin nicht allein. Während die Doku läuft, habe ich immer wieder ein beklemmendes Gefühl des Wiedererkennens. Kein Wunder: Social Media hat Suchtpotenzial. Und Suchtverhalten äußert sich bei allen Menschen ähnlich.