Kennen Sie diese schicken minimalistischen Instagram-Wohnungen, wo von der Vase bis zum Kuscheltier alles farblich und designtechnisch abgestimmt scheint? Ich bin ehrlich, ich schaue mir solche Bilder total gern an – auch wenn ich nie so wohnen werde. Für meinen Geschmack haben wir oft zu viel Unordnung durch herumliegendes Zeug, das keinen geeigneten festen Platz hat. Bei uns stapeln sich keine Pappschachteln oder ungeöffneten Briefe, wohl aber zusammengeschusterte Möbelstücke, Unterlagen, die ich einsortieren, und Kleinkram, den ich wegräumen will. Dazwischen ein Potpourri an Spielzeug, Reparaturbedürftigem, Deko, Werkzeug oder Kleidung. Kurz: Wenn mal wieder Schrottwichteln angesagt ist, kann ich problemlos in zehn Minuten zwei Kisten füllen. Es sei denn, ich habe zuvor mal wieder ausgemistet. Denn seit ein paar Jahren packt mich in regelmäßigen Abständen die Lust auf Ausmisten, Aufräumen, Sortieren und Wegwerfen. Immer dann, wenn ich mich im Inneren besonders unaufgeräumt, rast- und ratlos fühle, schweift mein Blick zu all den Regalen, Klamotten und Kisten. Nach dem Motto: Wenn ich das Chaos in meinem Kopf lichten will, muss ich es erst in meiner Umgebung beseitigen. Mit jedem Gegenstand, den ich aus dem Regal verbanne, mit jedem Kleidungsstück, das meinen Schrank weniger verstopft, fühle ich mich erleichtert und beschwingt. Es ist einfach ungeheuer befreiend, überflüssigen Ballast loszulassen und Raum zu schaffen, der für sich wirken kann. Und das funktioniert erstaunlicherweise immer wieder. Denn ist das Äußere sortiert und mein Umfeld von Chaos befreit, kommt auch mein Inneres besser zur Ruhe und ich kann mich besser auf das konzentrieren, was ich gerade brauche und will.
EIN VOLLES BÜCHERREGAL – UND TROTZDEM GLÜCKLICH
Durch meine Ausmistaktionen habe ich gelernt: Je weniger chaotisch es im Außen ist, desto geordneter fühle ich mich im Inneren. Diesen positiven Effekt propagiert auch die Japanerin Marie Kondo, die mit ihrer Konmari-Methode berühmt geworden ist. Für viele gilt sie als die Königin des Wohn-Minimalismus. Weniger Besitz, mehr Struktur und eine gute Portion Disziplin sind ihre Schlüssel für dauerhafte Ordnung und Zufriedenheit. Erst ausmisten, dann Plätze festlegen und die Teile nach Benutzung konsequent dorthin zurückräumen. Die Logik liegt auf der Hand: Je weniger Besitz, desto weniger Unordnung. Dabei geht es gar nicht darum, möglichst wenig von allem zu besitzen, sondern das zu behalten, was einem wichtig ist und gebraucht wird, und das loszulassen, was wir nicht wirklich brauchen oder sogar als Ballast empfunden wird. Marie Kondo empfiehlt für diesen Prozess, sich bei jedem Gegenstand, der den Hausstand verlassen muss, zu bedanken. Wertschätzung und Freude stehen bei ihrer Interpretation eines minimalistischen Lebens also hoch im Kurs.
Andere gehen sogar noch ein paar Schritte weiter, so wie Minimalismus-Experte Christof Herrmann. Wer Spaß an seiner Büchersammlung habe, solle sie gern behalten, meint der Autor. Als er vor einigen Jahren aus dem Job ausstieg, der ihn nicht erfüllte, auf Weltreise ging und seinen Minimalismus-Blog startete, begann für ihn ein neues Lebensgefühl. Entscheidend für sein Wohlbefinden sind nicht nur weniger Besitz, sondern vor allem weniger Ballast, mehr Lebensqualität und mehr Nachhaltigkeit. Christof Herrmann plädiert dafür, sich öfter mal einen Tag freizunehmen und nicht zu viele Pläne und Verpflichtungen einzugehen. Denn er sagt, nichts sei wertvoller als unsere Lebenszeit. „Ich habe mir angewöhnt, ein paar Fragen zu beantworten, bevor ich etwas kaufe, etwas zusage, mich verabrede oder ein negativer Gedanke meinen Kopf belagert. Brauche und gebrauche ich diese Sache wirklich? Kann ich diese Aufgabe noch freudvoll auf mich nehmen? Wie kann ich das Problem hinter dem negativen Gedanken lösen? Natürlich gehe ich manchmal eine Verpflichtung ein, um jemandem einen Gefallen oder eine Freude zu tun. Aber ich habe den Ballast in meinem Leben durch diese Fragen sehr reduziert.“